22. Juli 2016

Herzensspuren

Während der Vorbereitungen zum "Das geheimnisvolle Buchhatte ich mich mit dem Ort Bötzow, mit der Geschichte sowie mit der Region Oberkrämer beschäftigt.


Plötzlich hatte ich diese Idee!


Das Ergebnis mit regionalem Bezug könnt Ihr demnächst, sofern der Titel noch frei ist, unter „Herzensspuren“ beim Verlag Edition Bärenklau lesen.

Wie mein Wunschtitel schon verrät, geht es in diesem Buch um Spuren:

Jeder von uns hinterlässt auf seine Weise Spuren - ob im Herzen oder in der Seele.
Manche Spuren sind sichtbarer als andere und manche wünschen wir uns einfach nur zu vergessen.

Ein Roman aus Brandenburg.





Wer mag, den lade ich hiermit zu einer kleinen Kostprobe ein:

Begegnungen - Kapitel I

Der Polizeiwagen raste mit hoher Geschwindigkeit die A 111 Richtung Berlin entlang. Kyle kämpfte gegen seinen schnellen Herzschlag. Seit dem Unglück waren seine Nerven in dieser Hinsicht merklich dünner geworden. Lieber saß er selbst hinter dem Steuer, dort fühlte er sich besser aufgehoben als auf dem Beifahrersitz. Dabei hätte er diesen furchbaren Unfall vor drei Jahren vermutlich nicht verhindern können. Sophie traf keine Schuld. Kyle drehte seinen Ehering.
„Spielende Kinder auf der Autobahnbrücke“, seufzte Lena neben ihm. „Zu meiner Zeit haben wir noch ganz normal auf Spielplätzen gespielt.“ Sie warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel. „Hoffentlich passiert inzwischen nicht irgendetwas Fruchtbares.“
„Immer positiv denken“, bemühte sich Kyle, das Erlernte aus seiner vergangenen Therapie umzusetzen.
„Also wenns um Kinder geht, da kann ich echt nicht viel wegstecken!“ Ein Stück vor der Kanalbrücke drosselte Lena das Tempo.
„Ich schätze, es wird Zeit, dass Du selber welche bekommst!“, grinste Kyle.
„Sagt der Mann im besten Alter, um Kinder zu zeugen!“
Kyle dachte an Rostock zurück. „Auf dem Hafengelände haben wir so einiges diesbezüglich erlebt. Die Kids waren sich der Gefahren, in denen sie sich befanden, oft gar nicht bewusst.“ Für einen Moment keimten Zweifel auf, ob seine Entscheidung, hierherzuziehen, die richtige gewesen war.
„Weil die Kids gar nicht in der Lage sind, abzuschätzen, was passieren kann. Übrigens perfekt von dir abgelenkt.“ Lena bremste ab, wechselte auf die rechte Spur und fuhr unter der Bahnbrücke drunter weg. „Gleich werden wir sehen, ob noch jemand da ist“, sagte Lena.
Jetzt wurde die Sicht auf die Fußgängerbrücke frei. Kyle stockte für einen Moment der Atem, als er oben auf dem blauen Geländer eine Person erkannte. „Verdammt!“ Nur eine falsche Bewegung und diejenige würde in die Tiefe auf die Fahrbahn, mitten in die fahrenden Autos, stürzen. Eine Vorstellung, die er nicht weiter zu verfolgen wünschte. „Wir sollten die Autobahn sperren!“, war Kyles erster Gedanke.
„Das dauert zu lange. Wir müssen sofort handeln.“ Lena nahm die Ausfahrt zur Haltebucht, die für den öffentlichen Verkehr mit einem Durchfahrt-Verboten-Schild gesperrt war. „Wir holen das Gör da runter!“ Sie hielt den Wagen direkt vor dem Fußgängerübergang an, löste den Sicherheitsgurt und riss gleichzeitig die Autotür auf. Kyle folgte ihr, musste jedoch erst um den Polizeiwagen herumrennen. Lena eilte bereits die Stufen zur Fußgängerbrücke nach oben. Das ohrenbetäubende Grollen, Zischen und Sausen der Autobahn war so laut, dass sich Kyle nur durch Rufen mit Lena hätte verständigen können und damit vermutlich das Kind auf sich aufmerksam gemacht, was in dieser Situation böse enden könnte. Wie Kyle jetzt beim Näherkommen erkannte, handelte es sich offenbar um einen Jungen, von der Größe her vielleicht zehn Jahre alt. Bisher schien er die Polizisten aber nicht bemerkt zu haben. Mit zur Seite gestreckten Armen balancierte er auf dem Geländer zur anderen Straßenseite hinüber, wandte ihnen somit den Rücken zu. Lena drehte sich zu Kyle um, gab ihm per Handzeichen zu verstehen, langsam auf ihn zuzugehen. Sie wollte sich dem Jungen seitlich nähern, und Kyle sollte ihn von hinten sichern. Mit einem mulmigen Gefühl warf Kyle einen Blick durch die Metallstäbe des Geländers nach unten, wo die Autos mit hohen Geschwindigkeiten unter der Brücke hinweg rasten. Er wollte auf keinen Fall mit ansehen müssen, wie die Fahrzeuge den Jungen in Stücke rissen. Kyle schreckte zusammen, als unten eine LKW-Hupe ertönte. Idiot, dachte Kyle, als würde die Situation nicht schon knifflig genug sein. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das leichtsinnige Kind vor sich. Es war lediglich mit einem schmutzigen Sweatshirt sowie einer zerrissenen Jogginghose bekleidet, was für einen Februartag definitiv keine angemessene Kleidung war. Seine nackten Füße schimmerten bläulich. Was ging nur in diesem Kerlchen vor, dass er sich auf ein derart riskantes Spiel zwischen Leben und Tod einließ? Lena und Kyle hatten ihn beinah erreicht. Lena machte eine Kopfbewegung und in diesem Augenblick sprang der ‚Geländertänzer‘ geschickt auf den asphaltierten Gehweg und rannte los.
„Bleib stehen!“, rief Lena und eilte ihm nach, Kyle folgte den beiden. Der Flüchtende war bemerkenswert flink, und das barfuß. Obwohl der Lütte nun außer Gefahr war, musste man ihm das Risiko, auch die Autofahrer mit seiner Aktion zu gefährden, verdeutlichen.
Am Ende der Brücke, wo die Stufen wieder hinunterführten, überholte Kyle Lena, erwischte kurz darauf den Bengel an der Schulter, packte ihn und riss ihn in seinem Eifer mit die Treppe hinunter.
Unten angekommen sprang Kyle sofort auf die Beine, bereit, den Kerl festzuhalten.
„Beeindruckender Stunt“, meinte Lena, die in diesem Moment dazukam. „Bist du in Ordnung?“
„Wenn ich sortiert bin“, Kyle setzte sich grinsend auf, fühlte in sich hinein, dabei fiel sein Blick auf den leblosen Jungen neben sich und auf die blutende Platzwunde über dem rechten Auge. Sein linker Arm lag merkwürdig verdreht unter dem Körper.
Lena hockte sich zu ihm, tastete nach dem Puls. „Milan? Gott! Was machst du denn hier?“, flüsterte sie bewegt, überprüfte derweil seine Lebenszeichen.
„Du kennst ihn?“, fragte Kyle verwundert.
Sie seufzte tief. „Ein Kind aus meiner Nachbarschaft.“
„In diesem Aufzug so weit von Zuhause weg? Das sind bestimmt zwanzig Kilometer“, wunderte sich Kyle und kniete sich zu dem Jungen. „Verletzen wollte ich ihn mit meiner Aktion gewiss nicht.“
„Du hast ihn im Gegensatz zu mir wenigstens erwischt. Ich gehe erst mal zum Wagen, rufe einen Krankenwagen und hole eine Decke.“ Lena eilte die Stufen wieder nach oben. Kyle zog zuerst seine Jacke aus und brachte den bewusstlosen Körper in die stabile Seitenlage. Abschürfungen am Hüftknochen, die er sich vermutlich eben bei dem Sturz zugezogen hatte, lugten unter dem Gummiband der Jogginghose hervor. Als Kyle das Sweatshirt untersuchend hochschob, verschlug ihm der Anblick den Atem. Verheilte Striemen, zahlreiche Narben übersäten den Rücken, sogar den Rumpf. Der Junge war wiederholt gequält worden! Umso schuldiger fühlte sich Kyle nun, dass er ihn darüber hinaus noch verletzt hatte. Jedes Mal aufs Neue bewegten Kyle Begegnungen mit misshandelten Kindern. In der Hoffnung, dieses Gefühl schnell loszuwerden, zog er die Kleidung drüber, deckte Milan anschließend mit seiner Jacke zu. In diesem Moment blinzelte der Lütte, richtete sich hastig auf, die Jacke rutsche ihn von den Schultern.

„Bleib ruhig! Der Krankenwagen ist unterwegs! Tut mir Leid ...“ Milan machte den Versuch aufzustehen, wirkte dabei erst verwirrt, dann fast panisch. Nervös schaute er sich um, machte den Mund auf, als wollte er etwas sagen, ohne jedoch einen Laut von sich zu geben.

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